Seit August 2021 ist Kai Hillebrandt CEO der BERNINA Textile Group. Im Interview verrät er, wie er die ersten 100 Tage bei BERNINA erlebt hat, wie das Geschäftsjahr 2021 bisher verläuft und wie er die Weichen für die nächsten Jahre stellt.
Kai Hillebrandt, seit 100 Tagen stehen Sie an der Spitze der BERNINA Textilgruppe. Wie war Ihr Start – haben Sie sich gut eingelebt?
Exzellent! Das Geschäft läuft hervorragend, wir haben ein tolles Team mit einer einmaligen Kompetenz. Ich fühle mich pudelwohl in der Welt des Nähens!
Was hat Sie bei BERNINA überrascht?
Die hohe Fertigungstiefe in eigener Regie. Wir produzieren viele Kleinteile selbst. So können wir die hohe Qualität unserer Produkte am besten gewährleisten und halten bei den Schlüsselteilen das Know-how im Hause. Ausserdem hat mich die hohe Innovationskraft unseres Teams und die Komplexität einer Nähmaschine im Fertigungsprozess überrascht.
Zuvor waren Sie für Samsung, Philips und Panasonic tätig. Welchen Einfluss haben diese beruflichen Stationen auf Ihr Handeln bei BERNINA?
Die jeweiligen Firmen und Stationen haben mich gut auf die CEO-Aufgabe bei BERNINA vorbereitet. Ich bin überzeugt, dass viele der Konzepte und Prozesse, die ich aus Grossunternehmen mitbringe, BERNINA helfen können.
Was hat Sie zu BERNINA hingezogen?
Ganz klar: Das nachhaltige Unternehmen. BERNINA ist gleich in mehrfacher Hinsicht nachhaltig: Es bringt Produkte auf den Markt, die sich durch eine lange Lebensdauer auszeichnen und die den Kundinnen und Kunden helfen, nachhaltiger zu leben. Für viele Näherinnen und Näher ist die selbstgemachte Garderobe eine bewusste Abkehr von Fast Fashion. Ausserdem steht hinter BERNINA eine Eignerfamilie, welche das Unternehmen nachhaltig mit einer langfristigen Vision weiter entwickeln möchte.
Haben Sie bereits genäht? Welches Nähprojekt wollen Sie anpacken?
Ja, das habe ich schon vor meiner Zeit bei BERNINA. Und ich habe dabei genau das erlebt, wovor wir unsere Kundinnen und Kunden bewahren wollen: Ich habe mit einer minderwertigen Maschine genäht, hatte Probleme bei der Bedienung und habe den Spass deshalb schnell verloren. Das wird sich hoffentlich bald ändern. Es steht nämlich das Nähen meiner Gardinen in der Wohnung in Tägerwilen an – diesmal mit einer BERNINA Nähmaschine.
Welche langfristigen Ziele haben Sie mit BERNINA?
Wir wollen als Unternehmen nachhaltig wachsen, getrieben durch Innovationen, und wir wollen unsere Stellung als Premiumanbieter und Qualitätsführer in der Branche festigen. Unsere Kundinnen und Kunden erwarten zu Recht von uns, dass wir ihnen die bestmöglichen Produkte zur Verfügung stellen. Diesen Anspruch verfolgen wir Tag für Tag. Dazu verpflichtet uns nur schon unsere Schweizer Herkunft. Das Streben nach Qualität und Präzision ist in der Schweizer Kultur, dem Schweizer Denken und Handeln verankert.
Was wird die grösste Herausforderung für Sie und für das Unternehmen?
Wir müssen uns auf einem hart umkämpften Weltmarkt verteidigen, unseren Premium-Anspruch jeden Tag beweisen und dafür leben, die weltweite Nummer-1-Position im Premium-Segment zu halten und auszubauen. Kurzfristig sind die Herausforderungen ähnlich wie bei vielen anderen Schweizer Unternehmen: Sowohl die Logistik- als auch die Lieferketten sind ins Wanken geraten und funktionieren nicht so, wie es vor der Pandemie der Fall war. Somit müssen wir uns sehr flexibel aufstellen und ebenso agieren. Bisher haben wir diese Herausforderungen gut meistern können. Die Pandemie hatte auch einen positiven Effekt: Wir sehen eindeutig, dass Konsumentinnen und Konsumenten mehr Freude am Selbermachen haben. Zeit zuhause zu verbringen und selbst etwas zu kreieren, ist ein Megatrend. Mit anderen Worten: ein Trend, der bleiben wird. Und wir treffen mit unserem Angebot an Nähprodukten genau ins Zentrum dieses Trends.
BERNINA ist ein traditionsreiches Schweizer Unternehmen, das sich im Premium-Bereich und als Qualitätsführer positioniert. Welche Rolle werden Swissness und Qualität in Zukunft spielen?
Der Standort in der Schweiz, die mehr als 125-jährige Historie und auch die Schweiz selber haben unsere Marke geprägt. Qualität ist Teil unserer DNA, und dieser Wert wird uns seit nunmehr fünf Generationen durch unsere Eigentümer vorgelebt. Es ist einer unserer wichtigsten Existenzgründe, ein Qualitätshersteller zu sein, mit einer sehr hohen Markenbekanntheit und Innovationsbereitschaft, und dies sehr eng gekoppelt an die Schweiz und den Kanton Thurgau.
Sie haben mehrfach das Thema Nachhaltigkeit angesprochen. Welche Bedeutung hat dieses Thema für BERNINA?
Zusammen mit der Qualität unserer Produkte hat Nachhaltigkeit die höchstmögliche Bedeutung für unser Unternehmen. Wie bereits erwähnt, erlauben Produkte von BERNINA einen nachhaltigen Lebensstil und sind durch ihre Langlebigkeit selber nachhaltig. Wenn trotz der hohen Qualität einmal ein Ersatzteil benötigt wird, kann dieses auch viele Jahre nach der Herstellung geliefert werden. Aber auch die Produktion muss nachhaltig sein. Das ist etwas, was wir ganz dezidiert verfolgen und worauf wir uns in den kommenden Jahren noch mehr konzentrieren werden, sowohl in unserem Stammwerk in Steckborn als auch in unserer Fertigungsstätte in Thailand.
Innovation ist ein Grundpfeiler der Strategie von BERNINA. In welche Richtung werden zukünftige Entwicklungen gehen?
Wir gehen hier viele Wege, aber lassen Sie mich zwei nennen: Zum einen arbeiten wir kontinuierlich an der Qualität und Langlebigkeit unserer Produkte. Der Status Quo reicht uns hier nicht; wir wollen uns weiter verbessern. Zum anderen wollen wir das Näherlebnis für unsere Kundinnen und Kunden so einfach wie möglich gestalten. Das Nähprodukt, die Maschine, ist sehr komplex, aber die Bedienung darf nicht komplex sein. Somit stehen bei jeder Neuentwicklung die Kundin und der Kunde im Fokus. Was hierbei von grösster Wichtigkeit ist, ist der enge Austausch unserer Entwicklungsabteilung in Steckborn mit den Märkten.
Produkte von BERNINA werden in 60 Märkten rund um die Welt angeboten. War es Ihnen schon möglich, zu reisen und Partner zu besuchen? Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?
Es sind sogar mehr als 80 Märkte. BERNINA ist ein Schweizer Exporthit. Leider hatte ich bisher wenig Möglichkeit, ausserhalb der Schweiz und Deutschland Kunden zu treffen. Wir müssen alle noch etwas zurückhaltend sein, die Pandemie ist noch nicht vorbei. Dennoch habe ich an die 10 Händler besuchen können und habe eine unglaubliche Loyalität gegenüber der Marke BERNINA vorgefunden. Unsere Händler haben ein sehr ausgeprägtes Fachwissen und können die vielen Vorteile unserer Produktepalette exzellent erklären. Das ist beeindruckend.
BERNINA Produkte werden vorwiegend über den stationären Handel verkauft, der auch Serviceleistungen wie Produkteschulung und Reparaturen erbringt. Bleibt das so?
Wir haben Produkte im Angebot, die beratungsintensiv sind. Nur durch eine gute Einarbeitung und Schulung kann das maximale Potenzial unserer Maschinen abgerufen werden. Diese Aufgabe erfüllen unsere Händler auf einem hohen Niveau. Sie sind auch da, um den Konsumenten zu helfen, wenn diese einmal Probleme haben. Somit ist unsere Händlerstruktur der wichtigste Baustein für unseren Vertriebserfolg. Für uns ist es sehr wichtig, dass unsere Händler sich weiterbilden und die Verkaufsfläche attraktiv gestalten. Der Auftritt des Handels muss mit unserem Premiumanspruch im Einklang sein.
Die Digitalisierung hat die Customer Journey verändert. Wie passt sich BERNINA an das geänderte Kundenverhalten an?
Wir sehen dies als grosse Chance. Unser Vertriebsfokus liegt auf dem qualifizierten Fachhandel. Das bleibt auch so. Es gibt aber eine Käuferschicht, die sich im Kaufprozess nicht nur online orientiert, sondern auch den ausgesprochenen Wunsch hat, online kaufen zu können. Diesen Wunsch sollten wir erfüllen, am besten in Einklang mit unseren Fachhändlern.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Inhaber und Verwaltungsratspräsident Hanspeter Ueltschi? Welche Rolle spielen Katharina und Philipp Ueltschi, die fünfte Generation der Inhaberfamilie?
Ich bin persönlich sehr herzlich empfangen worden. Die Zusammenarbeit der Eignerfamilie mit den Mitarbeitern ist freundlich und kollegial. Wir sind stolz und froh, Hanspeter Ueltschi als Präsident des Verwaltungsrates zu haben. Sein reicher Erfahrungsschatz ist für uns immer abrufbar. Zudem macht HPU, wie er intern und in Kundenkreisen genannt wird, auch die bestmögliche Werbung für unsere Marke. Einen besseren Markenbotschafter können wir uns nicht vorstellen. Der Eintritt der fünften Generation durch Katharina und Philipp Ueltschi in das Management ist eine Bereicherung. Nicht nur haben beide schon viele Jahre für das Unternehmen gearbeitet, sie bringen auch frische Impulse in das Tagesgeschäft.
2020 konnte BERNINA ein Rekordresultat erzielen. Wie läuft das Geschäftsjahr 2021 bisher?
Auch für das Jahr 2021 können wir eine sehr positive Erwartung aussprechen. Wir haben in den letzten Jahren auf die richtigen Innovationen gesetzt und können unser strukturelles Wachstum, welches uns 2020 zum Erfolg verholfen hatte, nun weiterführen.
Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf das Geschäft?
Die angesprochenen Änderungen im Konsumentenverhalten, der Cocooing-Trend, haben uns sehr geholfen. Die Menschen fühlen sich zuhause geborgen, möchten die eigenen vier Wände schön gestalten und kreativ werden. Bei diesem Trend spielt das Nähen für viele eine wichtige Rolle.
Welche Lehren ziehen Sie nach rund eineinhalb Jahren aus der Pandemie, für das Unternehmen und für sich persönlich?
Für mich persönlich hat die Pandemie gezeigt, was der Zusammenhalt einer Gesellschaft bedeutet und welche Kraft dieser Zusammenhalt hat. Die Schweizer Gesellschaft hat die Herausforderungen der Pandemie bisher gut gemeistert. Ohne kollektive Disziplin, wie schwer uns diese teilweise auch gefallen ist, wäre das nicht möglich gewesen. Auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben an einem Strang gezogen und das Unternehmen bestens unterstützt. Das ist etwas, worauf wir wirklich stolz sein dürfen.
Wo sehen Sie die grössten Chancen für BERNINA?
Wir werden weiterhin Innovationen vorantreiben. Wir werden weiterhin unsere tägliche Arbeit hinterfragen und sie dort verbessern, wo es Sinn macht. Auf diese Weise werden wir unserem Standort und unserer Historie gerecht: Als innovatives Schweizer Traditionsunternehmen mit einem nachhaltig agierenden Eigentümer an der Spitze.
Was macht Ihnen am neuen Arbeitsort am meisten Spass?
Ich fahre wirklich jeden Tag mit einem Lächeln in die Firma. Wer wünscht sich nicht, jeden Tag dem Bodensee entlangzufahren, um dann in einer solchen klasse Firma den Arbeitstag verbringen zu dürfen?